Im September 2023 habe ich meine fast 40-jährige Berufstätigkeit als Bauingenieur beendet. Meine Stationen waren
- Leiter des Konstruktionsbüros einer Baufirma,
- Fachbereichsleiter und Prokurist eines Planungsunternehmens für Ingenieur- und Wasserbau in Hamburg und zuletzt
- Planungsverantwortlicher für große Infrastrukturprojekte in einen dänischen Ingenieurkonzern.
Mein berufliches „Once in a Lifetime“-Projekt war sicherlich die Leitung der Planung und Umsetzung der Antarktisstation Bharati für den indischen Staat (NCPOR; Ministry of Earth and Science). Für die Bauüberwachung war ich insgesamt sechs Monate vor Ort. Wenn Bauprojekte an sich schon von Problemen, Konflikten und Zeitdruck gekennzeichnet sind, so war dieses Projekt in jeder Hinsicht mehr als herausfordernd. Überall waren Grenzen gesetzt!
Wie muss eine Station aussehen, die den extremen Klimabedingungen in der Antarktisverlässlich standhält, auch im Polarwinter, wenn draußen die Stürme toben und drinnen die Bewohner auf sich gestellt sind? Wenn die Polarnacht einsetzt, wird das Wetter so schlecht und das Packeis so dick, dass weder Flug- noch Schiffsverbindungen möglich sind.
Wie bekommt man das gesamte Material, Gerät und Personal dorthin und dann wieder weg? Und zwar alles, denn zwischen Station und Zivilisation liegen das Packeis und 6.000 Meilen antarktischer Ozean. Da kann man nicht zum Baumarkt und man kann auch niemanden nachhause schicken, wenn man nicht klarkommt. Wie baut man eine Station mit den naturgemäß begrenzten Ressourcen in der mehr als knappen Bauzeit des antarktischen Sommers von Ende Oktober bis Anfang März so auf, dass das Bauwerk und seine Bewohner den folgenden Winter überstehen? Auch im Sommer können die klimatischen Bedingungen in kurzer Zeit von „Skiurlaub“ zu „Blizzard“ umschlagen.

Aber nicht nur technisch sondern auch kulturell hatte das Projekt seine Besonderheiten.
Der übliche Nationalitätenmix auf Baustellen aus allen Teilen Europas kann schon anstrengend sein. Hier kamen zu den deutschen Planern und der deutschen Baufirma aber noch mehrere indische Ministerien als Auftraggeber, Forscher und Militärs sowie in Schlüsselpositionen die russische Schiffsbesatzung und die koreanischen Hubschrauberpiloten hinzu. Wer entscheidungsbefugt war und Zugriff auf die Ressourcen hatte, richtete sich jeweils nach Ort und Umständen. Da es im antarktischen Sommer 24 Stunden hell ist und somit eine natürliche Tageszeit fehlt, wählte jede Gruppe wegen ihrer Anbindung ans jeweilige Mutterland ihre eigene Uhrzeit.
Der direkte, manchmal raue Umgangston einer deutschen Baustelle vertrug sich oft so gar nicht mit der asiatischen Höflichkeit, die immer lächelt, auch, wenn sie das Gegenüber gegen die Wand fahren lässt. In der hierarchisch und bürokratisch geprägten indischen Kultur wurden die Anweisungen der Vorgesetzten ohne Hinterfragen befolgt. Fehlte die Anweisung fehlte jedoch auch die Handlung. Wer in den speziellen Situationen der Vorgesetze war, war bei den verschiedenen vor Ort vertretenen Organisationen allerdings nicht immer unumstritten. Die Bedeutung des russischen Kapitäns, von dem alle wollten, dass er sie wieder heil nachhause brachte, lässt sich schwer in Worte fassen.
Das Konfliktpotential eines solchen Settings kann man sich im Vornherein gar nicht vorstellen. Auch wenn meine Aufgabe formal die technische Bauüberwachung war, war ich de fakto zu 80% mit Konfliktlösung und Vermittlung beschäftigt.
Dass dieses Projekt trotz aller aufgetretenen Probleme erfolgreich, in der vorgesehenen Zeit und mit mäßiger Kostensteigerung abgeschlossen werden konnte, lag an den handelnden Personen und ihrer oft hart erkämpften Bereitschaft, einerseits die eigenen Bedürfnisse dem Projektziel unterzuordnen und andererseits, die Bedürfnisse der anderen zu achten und im möglichen Maß zu berücksichtigen, und sich gegenseitig zu unterstützen.
Für mich persönlich hat dieses Projekt – neben unglaublichen Eindrücken und neuen Freunden – die Erkenntnis mitgebracht, dass Menschen egal welchem Kulturkreis sie entstammen oder welchen Beruf sie ausführen, erfolgreich zusammenarbeiten können. Allerdings muss man dazu auch bereit sein, das Ego hinten anzustellen und offen und ehrlich miteinander umzugehen. Und weiterhin habe ich gelernt, dass das sture Beharren auf der eigenen Ansicht zu zusätzlichem Aufwand, manchmal zu gefährlichen Situationen aber immer zu verschwendeter Lebenszeit führt.
Nicht zuletzt waren diese Erfahrungen auch der Grund, warum ich 2015 mit der vom VBI (Verein Beratender Ingenieure) und der Steinbeis-Hochschule Berlin initiierten Ausbildung zum Mediator begonnen habe. 2016 habe ich diese dann mit meiner Facharbeit über dieses Projekt zum „Fachmediator Großgruppen und Planungsprozesse im öffentlichen Raum“ abgeschlossen. Das dort Gelernte konnte ich in meiner weiteren Berufstätigkeit vielfach mit Erfolg anwenden. Nun, da meine aktive Zeit als Bauingenieur abgeschlossen ist, möchte ich als Mediator damit zum Gelingen weiterer Projekte beitragen.
Auch in meinem privaten Leben habe ich für meine Tätigkeit als Mediator viele wertvolle Erfahrungen gemacht. Meine Frau, eine ehemalige Lehrerin, hat mir gezeigt, dass zwei Menschen denselben Sachverhalt komplett unterschiedlich sehen können und dass trotzdem immer Einigung möglich ist. Von meinen zwei heute erwachsenen Kindern, für die ich bereits 1995 zwei Jahre „Erziehungsurlaub“ genommen habe, habe ich in dieser Zeit gelernt, was Verantwortung heißt und dass meine persönlichen Grenzen hinter dem liegen, was ich dafür halte. Meine Passionen Malerei, Bildhauerei und die Bewegungsmeditation „Amerta Movement“ geben mir die Gewissheit, dass Intuition oft zu unerwartet schönen Ergebnissen führt.
All diese und viele andere Erlebnisse haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin. Und sie haben mich zu den Überzeugungen gebracht, die ich als Mediator in die Welt bringen möchte.
Es gibt Besseres im Leben als sich zu streiten, nämlich sich zu einigen und gemeinsam voranzugehen!
